Interviews

Dr. Hans-Dieter Heumann, Botschafter a.D.
Geboren 29. Mai 1950 in Celle, aufgewachsen in Bad Godesberg.
Studium an der Musikhochschule Köln von 1965 bis 1972. Studium der Politikwissenschaft an den Universitäten Berlin (FU) und Bonn, 1982 Promotion zum Dr. phil. bei Prof. Dr. Karl Dietrich Bracher.

Seit 1982 Angehöriger des Auswärtigen Amtes, eingesetzt an den Deutschen Botschaften New York (UNO), Washington D.C., Moskau und Paris, sowie im Leitungs- und Planungsstab des Auswärtigen Amtes.

Deutscher Botschafter beim Europarat in Straßburg von 2009 bis 2011.

Danach bis 2015 Präsident der Bundesakademie für Sicherheitspolitik in Berlin.

Lehrtätigkeiten u.a. an der Georgetown Universität in Washington D.C. und an der Universität Bonn. Veröffentlichungen zur Internationalen Politik, u.a. Biographie über den ehemaligen Außenminister Hans-Dietrich Genscher.

Seit 2016 Ass. Director am Center for International Security and Governance (CISG) der Universität Bonn.

Interview

Welche Werte haben für Sie besondere Bedeutung und warum?

Die Wertekommission hat Vertrauen zu Recht als ihren obersten Wert gewählt. Vertrauen ist nicht nur eine moralische Kategorie, die für die Menschen abstrakt bleibt. Ohne Vertrauen funktionieren weder persönliche Beziehungen noch Gesellschaft, auch nicht die Wirtschaft.

Meine eigenen Erfahrungen sind die eines Diplomaten. Ich begegne oft dem Missverständnis, dass der Erfolg eines Diplomaten vor allem in seinem taktischen Geschick liegt. Nein. Sie haben Erfolg, wenn Sie selbst und ihr Wort ein gewisses Gewicht haben. Hierauf beruht auch Ihr Einfluss. Dieses Gewicht aber haben Sie nur, wenn Sie glaubwürdig sind. Glaubwürdigkeit ist die Voraussetzung dafür, Vertrauen aufzubauen. Ich habe diesen Zusammenhang im Übrigen in meiner Biografie des wohl erfolgreichsten deutschen Diplomaten der Bundesrepublik Deutschland beschrieben, des im letzten Jahr verstorbenen Hans-Dietrich Genscher.

Mit welchen Werten kann ein Unternehmen langfristig erfolgreich am Markt agieren? Bringt Wertschätzung auch Wertschöpfung?

Die Betonung liegt auf „langfristig“. Eines haben vor allem börsennotierte Unternehmen und die Politik gemeinsam: die Kurzfristigkeit. Gewinnmaximierung ist eine kurzfristige Perspektive, die nächsten Wahlen auch. Politiker benötigen schnelle Erfolge. Manche Unternehmer ebenfalls. Dies motiviert nicht unbedingt zu verantwortlichem Handeln. Verantwortung besteht darin, angesichts mancher Fehlentwicklungen der Globalisierung nachhaltige Entscheidungen zu treffen. Der Philosoph Hans Jonas hat in seinem Werk „Das Prinzip Verantwortung“ diesen Zusammenhang analysiert. Langfristig macht verantwortliches Handeln Unternehmen glaubwürdig. Dann werden sie geschätzt. Das bringt auch Wertschöpfung.

Die Digitalisierung schreitet voran. Brauchen wir neue Werte in unserer neuen digitalen Welt, die gerade mit einer unglaublichen Schnelligkeit unser aller Leben verändert?

Digitalisierung hat einen Januskopf. Sie bringt Chancen und Risiken mit sich. Immer muss beides gesehen werden. Einerseits sind Informationen unbegrenzt verfügbar. Sie sind andererseits aber nur dann ein Gewinn an Erkenntnis, wenn sie ausgewählt und interpretiert werden. Erkenntnis ist der Wert, nicht die Information selbst.

Die Verbindung von Digitalisierung und Industrie erhöht die Produktivität. Es wird aber nicht nur Gewinner, sondern auch Verlierer geben. Neue Werte werden nicht gebraucht, die alten Werte aber müssen Gültigkeit unter neuen Bedingungen behalten. Der wichtigste hierunter: Urteilsfähigkeit.

Werteerziehung gehört zu den großen Herausforderungen unserer Zeit. Mit welchen Wertvorstellungen gehen junge Menschen heute ins Leben und sind diese Wertvorstellungen zukunftsfähig?

Ich habe keine Studien parat, aber ich habe mit jungen Menschen gesprochen. Es gibt unter jungen Menschen offenbar eine Sehnsucht danach, auf etwas vertrauen zu können, einen Halt zu haben. Sie misstrauen teilweise dem politischen System. Sie scheinen Autoritäten zu suchen, was sie manchmal auch zum Populismus verführt. Marine Le Pen hatte viele junge Wähler. Junge Menschen wissen im Zeitalter „post truth“ nicht mehr, was falsch oder richtig, gut oder böse ist. Wahrheit wird zum höchsten Gut. Junge Menschen wollen Wahrheit, auch wenn es dies vielleicht nicht gibt. Deshalb ist Bildung der Schlüssel der Zukunft. Werteerziehung ist ein Teil davon.  Für den Standort Deutschland spielt das eine wichtige Rolle und zum Glück haben die Parteien das erkannt und der Bildung einen Platz in ihren Wahlprogrammen eingeräumt. Immer noch haben nicht alle Menschen die gleichen Chancen, Zugang zur Bildung zu erhalten. Das ist eines unser großen Zukunftsthemen.

Korruption, Ränkeschmiede, Vetternwirtschaft: ein Blick auf die globalisierte Welt stärkt nicht gerade das Vertrauen in funktionierende Wertesysteme. Wie können wir in unserer alles andere als perfekten Welt, Werte erfolgreich leben?

Dieses Problem kann nicht unterschätzt werden. Die Globalisierung ist in einer Vertrauenskrise. Sie hat Gewinner und Verlierer hervorgebracht. Deshalb hat sie auch in westlichen Gesellschaften, in den USA, in europäischen Staaten, heftige Reaktionen hervorgerufen. Der Populismus ist letztlich eine Reaktion auf die Globalisierung. Korruption zerfrisst ganze Gesellschaften, nicht nur in der sogenannten Dritten Welt. Steuerflucht und -vermeidung nagt an der Glaubwürdigkeit auch westlicher Eliten und politischer Systeme. Die organisierte Kriminalität profitiert von der Globalisierung.

Auch wenn dieses Bild zu düster sein mag, soll es belegen, dass die globalisierte Welt vor allem eines braucht: Schonungslose Aufklärung über Fehlentwicklungen und Ungerechtigkeiten. Nur so kann Vertrauen wiederhergestellt werden. Hieran sollten sich auch Unternehmen beteiligen. Aufklärung verlangt Bildung. Der Kreis schließt sich.

Welche Persönlichkeit des öffentlichen Lebens, hat für Sie wirklich Vorbildfunktion und wenn ja, warum?

Da muss ich passen. Lassen Sie mich Immanuel Kant zitieren: „Sapere aude“. Habe Mut, Dich Deines eigenen Verstandes zu bedienen! Womit wir wieder bei der Aufklärung wären. Vorbilder können Orientierung geben. Sicherheit in einer sich schnell verändernden Welt aber entsteht auf der Grundlage von eigener Urteilskraft.

Die Wertekommission hat Recht: Vertrauen ist der oberste Wert. Vertrauen kann aber nur entstehen, wenn die Welt transparenter wird. Hierzu können auch Unternehmen beitragen. Sie gewinnen so Glaubwürdigkeit. Warum sollten nicht auch Unternehmen eine Vorbildfunktion ausüben.