Interviews

Anke Odrig ist Initiatorin und Geschäftsführerin der LITTLE BIRD GmbH und eine der wenigen Frauen, die in den vergangenen Jahren ein von technischen Innovationen getriebenes Startup gegründet hat. Nach dem Studium arbeitete Odrig zunächst bei einem Versicherungskonzern, bevor sie als Projektmanagerin zu einem führenden Softwarehaus wechselte. Geprägt durch ihre beruflichen Erfolge und Erfahrungen, stellte Odrig bei der nervenaufreibenden Suche nach einem Kitaplatz für ihren ersten Sohn fest, dass es in diesem Bereich enormen Bedarf an Transparenz und technologiebasierter Vernetzung gab. Die Analyse der Situation und die systematische Auseinandersetzung mit den Betroffenen ermutigte sie dazu, im Jahr 2009 die LITTLE BIRD GmbH zu gründen. Inzwischen ist aus dem ehemaligen Ein-Frau-Unternehmen eine über 30 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter starke Firma in Berlin geworden. Für ihr Engagement wurde Odrig im Jahr 2010 als Gründerin des Jahres vom Business Angels Club Berlin Brandenburg ausgezeichnet. In der Kategorie „Aufsteiger“ kam sie 2015 in die Runde der Finalisten des Deutschen Gründerpreises.

Interview:

Welche Werte haben für Sie besondere Bedeutung und warum?
Zusammenhalt, auch in schwierigen Zeiten, die Betonung von Gemeinsamkeiten statt Unterschieden, Toleranz und Teamwork sind für mich die Grundpfeiler von funktionierenden Gesellschaften, Familien und Unternehmen. Ich respektiere und schätze andere Lebensmodelle, Vorstellungen und Wünsche und versuche, das sowohl meinen Kindern als auch meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern täglich vorzuleben. Ich bemühe mich immer, nicht zu urteilen, sondern zu ergründen und zu verstehen, was andere bewegt. Wenn ich das nicht mache, schotte ich mich ab und verpasse viele Impulse, gute Ideen und offene Momente. Meiner Meinung nach ist aber ohne Interesse, Toleranz und Offenheit kaum Entwicklung – auch persönliche Entwicklung – möglich.

Mit welchen Werten kann ein Unternehmen langfristig erfolgreich am Markt agieren? Bringt Wertschätzung auch Wertschöpfung?
Wertschätzung ist eines der wichtigsten Dinge, um Wertschöpfung sicher zu stellen. Ohne Wertschätzung kann ein Unternehmen kaum verlangen, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter motiviert sind oder bleiben. Auch von Kunden kann man nicht erwarten, dass sie sich konstruktiv und langfristig an ein Unternehmen und seine Produkte binden, wenn sie keine Wertschätzung erfahren. Wir nennen das bei uns im Unternehmen Respekt und haben das für uns und nach außen ganz klar definiert: „Respekt geht bei LITTLE BIRD in alle Richtungen und kennt keine Hierarchie. Wir stehen auf Ehrlichkeit, Verlässlichkeit und Loyalität.“

Die Digitalisierung schreitet voran. Brauchen wir neue Werte in unserer neuen digitalen Welt, die gerade mit einer unglaublichen Schnelligkeit unser aller Leben verändert?
Digitale Angebote erweitern unsere Möglichkeiten der Kommunikation und der Organisation. Ich sehe sie als reine Werkzeuge, die Dinge des täglichen Lebens vereinfachen können. Ich finde, man darf keine Angst davor haben, dass die Digitalisierung das Leben verändert, sondern kann das positiv und als große Chance sehen. Um digitale Angebote zu nutzen, braucht es auch keine völlig neuen und zusätzlichen Werte, sondern die bestehenden Werte, wie eben zum Beispiel Respekt, Toleranz, Empathie und Ehrlichkeit müssen auf die Digitalisierung übertragen werden – und das konsequent, denn sonst macht die Digitalisierung den Menschen Angst. Viele haben zum Beispiel Angst davor, durch neue Technologien an ihrem Arbeitsplatz überflüssig zu werden. Und tatsächlich gibt es Stellen, die durch digitale Services leicht zu ersetzen wären. Das wird kommen und deshalb plädiere ich auch hier dafür, den Menschen neue Perspektiven anzubieten, damit die Digitalisierung wirklich als Fortschritt und Chance und nicht als Kontrollverlust wahrgenommen werden kann.

Werteerziehung gehört zu den großen Herausforderungen unserer Zeit. Mit welchen Wertvorstellungen gehen junge Menschen heute ins Leben und sind diese Wertvorstellungen zukunftsfähig?
Ich kann das nicht allumfassend beurteilen. Ich merke in meinem Umfeld, dass die jüngeren Leute, die in meinem Unternehmen arbeiten, höhere Ansprüche an mich als Arbeitgeberin, ihren Arbeitsplatz und die Ausgestaltung ihres Arbeitslebens haben. Aber auch hier: Die Gesellschaft verändert sich, alte Strukturen brechen auf, neue bilden sich, alles fließt. Ich kann verstehen, dass meine Mitarbeiter, die ein Pendlerleben führen und täglich über 100 Kilometer zurücklegen müssen, flexiblere Arbeitszeiten oder die Möglichkeit für Homeoffice einfordern. Ich kann verstehen, dass junge Väter ihre Elternzeit nehmen möchten, weil sie Zeit mit ihren Babys verbringen wollen. Ich habe nichts dagegen, dass Menschen ihr Arbeitsleben passend zur individuellen Lebenssituation gestalten wollen. Ich kann aber nicht feststellen, dass die grundlegenden Werte, wie Loyalität, Zusammenhalt und Verantwortungsbewusstsein dadurch abnehmen. Im Gegenteil. Meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind mit mir gemeinsam durch schwierige Zeiten gegangen und wir haben gemeinsam Krisen gemeistert. Das hat uns alle gestärkt und viel weiter gebracht als wir alle individuell und gemeinsam erwartet hätten.

Korruption, Ränkeschmiede, Vetternwirtschaft: ein Blick auf die globalisierte Welt stärkt nicht gerade das Vertrauen in funktionierende Wertesysteme. Wie können wir in unserer alles andere als perfekten Welt, Werte erfolgreich leben?
Es ist schwierig für mich, das so global zu beurteilen. Ich bleibe da gerne bei mir selbst und meinem Umfeld. Meiner Meinung nach, kann ich als Unternehmerin, Frau und Mutter am besten mein direktes Umfeld wertvoll beeinflussen, indem ich mich selbst an die Dinge halte, die ich auch von anderen erwarte. Natürlich ist da immer ein Risiko dabei, dass ich enttäuscht oder getäuscht werde. Diese Erfahrungen bleiben aber niemandem erspart. Ob man sich verschließt oder öffnet, ob man ehrlich ist oder andere austrickst, es gibt auf der anderen Seite immer Menschen, die ihre eigene Wirklichkeit haben und danach handeln. Ich halte mich gerne an den Spruch: „Was du aussendest, kommt zu dir zurück.“ Den habe ich schon von meinen Großeltern gehört und schon an meine Kinder weitergegeben.

Welche Persönlichkeit des öffentlichen Lebens, hat für Sie wirklich Vorbildfunktion und wenn ja, warum?
Mich beeindrucken immer Menschen, die ihre Ideen verwirklichen und dabei ihren Idealen treu bleiben. Ich bin ein großer Fan von der Sängerin und Musikerin Adele. Vor ein paar Monaten war ich bei ihrem Konzert in London, dem letzten, bevor sie ihre Tournee wegen Stimmproblemen abbrechen musste. Ich finde, nachdem was man über sie erfahren kann, dass sie eine sehr sympathische, natürliche und authentische Person ist. Sie schützt sich und ihre Familie, kennt ihre Grenzen, geht verantwortungsvoll mit sich und ihrem Talent um. Als sie 2016 in Berlin war, wurde sie mit ihrem kleinen Sohn auf einer Picknickdecke im Park gesichtet. Ganz unspektakulär. Ich mag es, wenn man einfach tut was man kann und was man am besten kann, aber ohne sich darüber hinaus ständig präsentieren zu müssen.

 

Dieses Interview führte die Journalistin Christiane Harriehausen.