Dr. Philipp Busch, Jahrgang 1963, verheiratet, 3 Kinder.
Studium der Betriebswirtschaftslehre an der Universität Mannheim zum Diplom-Kaufmann, parallel Studium der Geographie mit Abschluss der Promotion zum Dr. phil.
Von 1990 bis 1992 Referent der Personalentwicklung für den IT-Bereich bei Otto Versand. Hiernach Berater bei der Boston Consulting Group bis 1995.
Von 1996 bis 2001 in unterschiedlichen Führungspositionen bei der Gruner + Jahr AG und bis 2007 Geschäftsführer der manager magazin Verlagsgesellschaft sowie Mitglied der Geschäftsleitung des Spiegel Verlags. Danach bis 2012 Geschäftsführender Gesellschafter der BBB Beteiligungen GmbH.
Seit 2012 Managing Partner bei der Beratungsgesellschaft Lehel Partners Corporate Finance GmbH & Co. KG (LPCF), die als Teil eines professionell organisierten deutschen Family Offices fokussiert Corporate Finance- und Business Development-Dienstleistungen anbietet.
Er ist Beirat und Aufsichtsrat in unterschiedlichen Unternehmen, Vorsitzender des Kuratoriums der Wertekommission e. V. und Salonier des Hauptstadtsalons Berlin.
Interview:
Welche Werte haben für Sie besondere Bedeutung und warum?
Mut ist für mich ein besonders wichtiger Wert, denn ich bin nach wie vor fest davon überzeugt, dass die Menschen meistens ein ganz gutes Gefühl dafür haben, was in Ordnung ist und was nicht. Ihnen fehlt aber häufig der Mut, danach zu handeln und für ihre Werte einzustehen, besonders gegenüber Dritten. In diesem Zusammenhang würde ich gerne das etwas in Vergessenheit geratene Wort „Freimut“ in die Diskussion einführen. Dieses Wort trifft sehr gut, was ich meine. In den vergangenen Jahren ist es ein wenig aus der Mode gekommen, seine Meinung kraftvoll zu vertreten und mutig für das einzustehen, was man denkt. Es wäre gut, wenn die Streitkultur in unserer Gesellschaft eine Renaissance erführe. Streit wird schnell als etwas Negatives gesehen. Dabei kann man sich mit jemandem streiten und ihn dennoch respektieren. In einer freiheitlichen Gesellschaft gibt es keine absoluten Wahrheiten, daher ist der Diskurs, auch wenn es mal funkt, unerlässlich für Innovation.
Wir haben uns als Gesellschaft zu Werten bekannt, die u.a. im Grundgesetz festgehalten sind. Doch eine funktionierende Demokratie ist zugleich auch eine streitbare Demokratie in der jeder für diese Werte einstehen sollte. Werte sind nicht einfach garantiert. Sie müssen von uns gelebt und erhalten werden. Das erfordert immer wieder Mut, Freimut!
Mit welchen Werten kann ein Unternehmen langfristig erfolgreich am Markt agieren? Bringt Wertschätzung auch Wertschöpfung?
Diese Frage beleuchtet mehrere Dimensionen abhängig von den vielfältigen Feldern der Führung eines Unternehmens. Wenn ich ein Produkt am Markt platzieren will, so ist ein entscheidender Wert „Vertrauen“. In dem Moment, in dem das Vertrauen in ein Produkt groß ist, ist der „Brand value“ hoch. Für Unternehmen, deren Produktreputation, also das Vertrauen der Kunden in das Produkt, bröckelt, ist Umsatzrückgang und Vernichtung von Brand value die unmittelbare Folge. Eine weiteres Feld sind die Mitarbeiter. Heutzutage ist die Wechselbereitschaft von Mitarbeitern deutlich höher und gute Leute sind wie Quecksilber und achten neben extrinsischen Motiven deutlich mehr auf die Wertgebundenheit des Unternehmens. Das kann Respekt, Nachhaltigkeit aber auch verantwortungsbewusstes Handeln und vieles mehr sein. Zudem setzt sich zunehmend das Bewusstsein durch, dass die Arbeit nicht der einzige Sinn des Lebens ist. Ferner: Die Digitalisierung erlaubt uns heute, Arbeit in der Dimension Zeit und Raum erheblich flexibler zu gestalten. Die Zeiten der Stechuhr sind vorbei. Unternehmen, die die Bedürfnisse der Menschen und ihre Werte erkennen, sind hier klar im Vorteil.
Die Digitalisierung schreitet voran. Brauchen wir neue Werte in unserer neuen digitalen Welt, die gerade mit einer unglaublichen Schnelligkeit unser aller Leben verändert?
Hier sollte man zwei Sphären unterscheiden. Es hat Propheten des Internets gegeben, die dieses als rechtsfreien, ja herrschaftsfreien Raum angesehen haben. Das ist es aber nicht. Unsere Gesellschaft hat sich Regeln gegeben und folgt zudem einer übergeordneten Ethik. Ich kann im Netz nicht einfach jemanden anpöbeln. Auch der „Gedankendiebstahl“ mit Hilfe von „copy and paste“ ist zu verurteilen. Kreativen Menschen die Möglichkeit des Einkommenserwerbs zu nehmen, auch wenn das technisch leicht möglich ist, ist nicht anständig. Das Internet ist unseren gesellschaftlichen Werten und unserer Ordnung genauso unterworfen, wie unser sonstiges Handeln auch.
Die zweite Sphäre bezieht sich auf den extremen Wandel, dem wir alle im Zuge der Digitalisierung unterworfen sind. Wenn Dinge sich enorm schnell verändern, brauchen wir vermehrt Werte, die uns als Leitplanken in der Veränderung dienen. Wandel fällt Menschen aus unterschiedlichen Gründen schwer. Einer der zentralen Werte in Zeiten des Wandels ist Vertrauen. Die Digitalisierung entwickelt sich exponentiell und ist einfach zu komplex, als dass der einzelne die Auswirkungen auf die Gesellschaft in allen Facetten wirklich durchschauen kann. Sie müssen also denjenigen, die Verantwortung in einer Gesellschaft tragen, bei solchen Veränderungsprozessen vertrauen. Wenn große Teile der Menschen das nicht tun, wird es zu Friktionen kommen. Vertrauen kommt allerdings nicht von alleine, sondern man muss es sich verdienen! Das ist bei Freunden und Ehepaaren nicht anders als in Unternehmen.
Die Digitalisierung ist eine weitere industrielle Revolution. Die erste ersetzte physische Arbeit durch Maschinen und ist mit starken gesellschaftlichen Verwerfungen abgelaufen. Ob die Digitalisierung ohne gesellschaftliche Verwerfungen ablaufen wird, hängt nicht zuletzt von der Intelligenz, aber auch der Wertgebundenheit der Unternehmensführung ab. Gelingen kann der Wandel aus meiner Sicht aber nur im engen Zusammenspiel von Staat und Unternehmen.
Es ist beim second maschine age in Ansätzen absehbar, was auf uns zukommt: Arbeitsfelder werden sich durch den Einsatz von moderner Kommunikationsmöglichkeiten und Robotik extrem verändern. KI-Systeme werden auch in Bereichen Menschen ersetzen, wo wir es für undenkbar hielten. Geschäftsmodelle werden komplett auf den Kopf gestellt. Wichtig ist es, den Wandel jetzt einzuleiten und vorausschauend zu begleiten. Hier haben diejenigen die größte Verantwortung, die Unternehmen leiten. Der einfache Sachbearbeiter kann entweder Opfer der Veränderungen werden, oder er wird als Teil der Mitgestaltung gesehen. Allerdings wird dann auch von ihm die Bereitschaft zum Wandel erwartet.
Ein zentraler Faktor im vorausschauenden Management solcher Veränderungen ist Bildung. Unser Bildungssystem bildet die Menschen derzeit nicht im Hinblick auf die neuen Anforderungen der digitalen Welt aus. Wir brauchen Bildung, die vernetzter ist. Maschinen können vieles, aber über verschiedene Bereiche hinwegzudenken oder Empathie zu entwickeln, gelingt ihnen bislang noch nicht.
Bildung ist der Rohstoff unseres Landes. Doch obwohl Deutschland ein so reiches Land ist, gibt es gerade im Bildungsbereich große Innovationsarmut. Die Bildung sollte dringend entideologisiert und die technischen Möglichkeiten – auch und vor allem in der Schule – stärker genutzt werden. Im Zeitalter von active boards und augmented reality hat der gute alte Atlas einfach ausgedient. Wenn Kinder heute eine so schlechte Ausbildung bekommen, dass sie keine Chance auf dem Arbeitsmarkt haben, oder noch viel schlimmer gar keinen Abschluss machen, ist das meistens nicht ihre Schuld, sondern schlicht verantwortungsloses Handeln der dafür zuständigen staatlichen Stellen! Es gibt zwar bereits viele Bemühungen, die in die richtige Richtung gehen, aber das reicht bei weitem nicht aus.
Werteerziehung gehört zu den großen Herausforderungen unserer Zeit. Mit welchen Wertvorstellungen gehen junge Menschen heute ins Leben und sind diese Wertvorstellungen zukunftsfähig?
Ich bin der Meinung, dass wir derzeit in der besten aller Zeiten leben. Aber wir müssen auch einiges dafür tun, damit das so bleibt. Es ist wichtig, jungen Menschen zu vermitteln, dass Werte nicht einfach da sind, sondern dass sie das Ergebnis des Handels von Menschen, also auch von ihnen selbst sind. Dieses Handeln müssen wir immer wieder einfordern.
Gerade wenn es mir gut geht, habe ich automatisch auch eine Verantwortung für andere. Es ist unter Umständen lobenswerter, auch einmal den nicht so geliebten Job des Klassensprechers zu übernehmen, als eine eins in Physik zu schreiben. Das kann man den Kindern vermitteln und das sollten Eltern auch tun.
Insgesamt halte ich es für schwierig, pauschal über „die Jugend“ zu sprechen, denn dafür sind Menschen zu individuell und es gibt sehr unterschiedliche Cluster. Was ich aber beobachte, ist ein zunehmendes Interesse daran, Dinge zu teilen. Das Sein scheint sich zu Lasten des Habens zu verschieben. Während früher das Auto als Statussymbol unabdingbar war, ist das in der heutigen jungen Generation nur noch ein untergeordnetes Thema. Ich muss Dinge nicht mehr unbedingt besitzen, sondern ich teile sie, was unter dem Stichwort „share economy“ bekannt ist. Sicherlich hat und wird es immer eine gewisse Konsumorientierung gegeben. Die Glücksforschung hat jedoch gezeigt, dass ab einem fünfstelligen Nettoeinkommen im oberen Bereich die Zufriedenheit der Menschen nicht mehr zunimmt. Ob wir damit an die Grenzen der Wachstumsgesellschaft stoßen, mag dahingestellt sein. In jedem Fall ist diese Entwicklung sehr spannend.
Korruption, Ränkeschmiede, Vetternwirtschaft: ein Blick auf die globalisierte Welt stärkt nicht gerade das Vertrauen in funktionierende Wertesysteme. Wie können wir in unserer alles andere als perfekten Welt, Werte erfolgreich leben?
Das bleibt eine große Herausforderung. Dennoch auch in dieser Hinsicht ist die Welt deutlich besser geworden ist. Es gibt mehr Länder als jemals zuvor, die eine freiheitliche Ordnung haben und in denen rechtstaatliche Prinzipien gelten. Für uns ist heute kaum noch vorstellbar, dass Spanien, Portugal und Griechenland in den 70iger Jahren noch Diktaturen waren.
Wir sollten behutsamer sein, unsere eigenen Werte in einer globalen Perspektive für die einzig richtigen zu halten. Dabei müssen wir zwei Ebenen unterscheiden: Wie handele ich selber? Welchen Werten fühle ich mich in der Gesellschaft, in der ich lebe, verpflichtet? Und die andere lautet: Wie will ich eigentlich, dass der andere handelt? Wir kommen aus einer stark christlich geprägten Tradition, die sich dem Thema Nächstenliebe verpflichtet fühlt, zugleich aber auch missionarisch wirkt. Wir brechen also sehr schnell den Stab über andere Werte und Kulturen. Vor dieser Form von Hypermoral sollten wir uns hüten. Jede Entwicklung braucht ihre Zeit, und wir sind mit unserer westlichen Kultur schnell dabei, uns anderen überlegen zu fühlen und jedem ungefragt mitzuteilen, wie er zu leben hat . Was in unserem eigenen Gemeinwesen gilt, sollten wir, soweit wir es für sinnvoll erachten, verteidigen. Was in anderen Gemeinwesen gilt, sollten wir zunächst einmal verstehen, bevor wir lautstark urteilen. Auch hier ist ein Blick auf die Glücksforschung spannend, denn es zeigt sich, dass die Menschen in den freiheitlichen Staaten nicht unbedingt glücklicher sind als die Menschen in weniger „privilegierten“ Gesellschaften.
Für viel wichtiger halte ich in einer globalen Welt die Frage, was sind die Maximen meines Handelns? Es ist wichtig, dass Wertfragen parallel zu ökonomischen Fragen behandelt werden. „Korruption geht nicht“ ist einfach gesagt, aber es gibt schlichtweg Länder, in denen ohne Korruption nicht einmal ein Stromvertrag abgeschlossen wird. Daher muss ich für mich entscheiden, wie ich mit dem Thema umgehe. Wie geht ein Unternehmen damit um? Das muss transparent besprochen werden. Die Welt ist nicht nur schwarz oder weiß und es geht auch nicht nur um Geld, so dass eine Führungskraft genau abwägen muss, was sie tut und was nicht.
Daher ist die Wertediskussion so wichtig, denn es gibt keine absoluten Wahrheiten. Wir müssen uns mit diesen Themen auseinandersetzen, uns streiten und auch einmal den einen oder anderen Fehler machen, und dafür auch die Verantwortung übernehmen.
Welche Persönlichkeit des öffentlichen Lebens, hat für Sie wirklich Vorbildfunktion und wenn ja, warum?
Es gibt bekanntlich keine perfekten Menschen, aber es gibt herausragende, von Freimut getränkte Handlungen von Menschen. Hier möchte ich beispielsweise Oskar Schindler nennen, ein mit allen, manchmal auch trüben, Wassern gewaschener Geschäftsmann, der in schwierigen Zeiten unglaublich couragiert das Richtige getan hat. Ähnlich mutig gehandelt – wenngleich auf andere Weise – hat Berthold Beitz, der später über viele Jahre die Geschicke von Krupp lenkte. Herausragend ist auch die Courage von Margarethe von Oven, der Sekretärin von Claus Schenk Graf von Stauffenberg, die vor und während des 20. Julis 1944 genauso ihr Leben riskierte um ihren Werten treu zu bleiben, wie die herausragenden und bekannten Persönlichkeiten des Hitler-Attentats.
Auch Helmut Schmidt hat durch Handlungen Freimut und eine große Wertgebundenheit bewiesen: Die Entführung von Hans Martin Schleyer und die Entführung der Landshut Maschine stellten ihn vor eine unglaublich schwierige und vor allen Dingen nicht mehr zu revidierende Wertentscheidung. In solchen Momenten legt sich, wie ich finde, das wahre Ich eines Menschen frei. Helmut Schmidt hätte sich durch Nichthandeln aus einer unglaublich schwierigen Situation „retten“ können. Er hat aber entschieden, gehandelt und durch seine Entscheidung den Tod eines Menschen in Kauf genommen. Er hat immer die Verantwortung dafür übernommen und hat ein rechtstaatliches Prinzip zum Gesamtwohl über sein eigenes Wohlergehen gestellt.
Menschen, die für ihre Werte Opfer bringen, halte ich für vorbildhaft, ebenso wie Menschen, die Zivilcourage zeigen und bereit sind, nein zu sagen, selbst wenn sich alle gegen sie richten. Und diese Haltung fängt im Kleinen an.
Dieses Interview führte die Journalistin Christiane Harriehausen.