Manuel J. Hartung, Jahrgang 1981, ist der Wochenzeitung DIE ZEIT seit über einem Jahrzehnt verbunden, in der Redaktion wie im Verlagsmanagement: Er schrieb über Hochschulpolitik, baute das Studentenmagazin ZEIT CAMPUS mit auf und führte dann die Content-Marketing-Tochter TEMPUS CORPORATE. Zurzeit ist er Leiter des Ressorts CHANCEN der ZEIT und gibt die Magazine ZEIT CAMPUS, ZEIT SPEZIAL und ZEIT GERMANY heraus.
Manuel Hartung wuchs in Nordhessen auf, ging auf die Henri-Nannen-Journalistenschule in Hamburg und studierte in Bonn und New York Geschichte sowie Public Administration in Harvard. In Göttingen und St. Gallen unterrichtete er Journalismus.
Er engagiert sich bei der „Wertekommission“, bei „Fleiß und Mut – Verein zur Förderung journalistischer Weiterbildung für hochqualitative Recherchen“, bei „Common Purpose Deutschland“ und in der Katholischen Kirche.
Welche Werte haben für Sie besondere Bedeutung und warum?
Vertrauen und Mut sind für mich die beiden wichtigsten Werte. Vertrauen, weil es der Anfang jeglicher menschlicher Beziehungen ist. Viele andere Werte wie Aufrichtigkeit, Integrität, Ehrlichkeit, Sich-in-die-Augen-schauen-können folgen aus der Frage, ob man jemandem vertrauen kann.
Mut finde ich insofern besonders wichtig, als die Abwesenheit von Mut eine Gesellschaft total lähmen kann. Das Sicherheitsbedürfnis vieler Menschen ist sehr groß, die Angst vor dem Scheitern ist ein großer Hemmfaktor. Es wäre schön, wenn es uns gelänge, aus einer Angstkultur eine Mutkultur zu machen in der es einen Wert darstellt, Dinge neu zu denken, anders zu machen. Neues zu gründen. Dazu kann auch die Wertekommission beitragen und, ja!, zu Mut ermutigen.
Gerade in Zeiten, die allen Anlass zum Pessimismus geben, ist Optimismus eine avantgardistische Kraft.
Mit welchen Werten kann ein Unternehmen langfristig erfolgreich am Markt agieren? Bringt Wertschätzung auch Wertschöpfung?
Ja, in der Tat: Wertschätzung bringt Wertschöpfung. Das hängt vor allem damit zusammen, dass der Kampf um Talente immer härter wird. Manchen Unternehmern und Managern ist das aber anscheinend noch nicht bewusst. Menschen werden wählerischer, was ihre Jobs angeht. Die Bereitschaft wächst, neue Wege zu gehen. Wenn ein Unternehmen aber nicht zu den Werten steht, die es auf seiner Website predigt, hat es mittelfristig Wettbewerbsnachteile. Es ist leicht zu behaupten, dass man innovativ sei und seinen Mitarbeitern Wertschätzung entgegenbringt. Mitarbeiter merken aber sehr schnell, ob die schön klingenden Worte auch wirklich gelebt werden.
Die Digitalisierung schreitet voran. Brauchen wir neue Werte in unserer neuen digitalen Welt, die gerade mit einer unglaublichen Schnelligkeit unser aller Leben verändert?
Werte sind Stabilitätsanker. Je höher die Geschwindigkeit, desto wichtiger ist zugleich die Stabilität. Daher ist es wichtig, sich die bestehenden Werte bewusster zu machen. Die traditionellen Werte haben sich über viele Zeitläufe und Widerstände hinweg behauptet. Wir sollten uns aber fragen, welche Werte wir in eine sich radikal verändernde Landschaft übersetzen müssen.
Denn die Veränderungen sind wirklich radikale: Neue Medien beeinflussen die Art, wie wir miteinander kommunizieren. Das hat auch Auswirkungen auf die zwischenmenschlichen Beziehungen. Wir wissen nicht zudem, wie wir in zehn Jahren arbeiten werden. Selbst wenn wir jetzt alle spezielle digitale Skills lernen, werden diese in zehn Jahren wahrscheinlich schon überholt sein. Doch gerade weil wir so ins Offene hineinsteuern, ist es sinnvoll, nicht zu viele in sich geschlossene und kleinteilige Dinge zu lernen. Viel wichtiger ist es, einen Schritt zurückzutreten und sich zu fragen: Wie sind wir kreativ? Wie können wir uns neues Wissen aneignen? Wie gehen wir mit Unsicherheiten um und können daran wachsen? Müssen wir Verunsicherungsfähigkeit lernen?
Werteerziehung gehört zu den großen Herausforderungen unserer Zeit. Mit welchen Wertvorstellungen gehen junge Menschen heute ins Leben und sind diese Wertvorstellungen zukunftsfähig?
Was mich bei dem Thema Werteerziehung beschäftigt ist der zwischenmenschliche Umgang. Zum Einen: wie gehe ich mit meinem Gegenüber um, wie respektvoll behandle ich andere Menschen? Und zum Anderen: Wie gehe ich mit der Gesellschaft um, wie bringe ich mich ein, wie lebe ich Demokratie? Wenn man sieht, wie viele Leute für Erdogan gestimmt haben, die immerhin dreizehn Jahre lang in eine deutsche Schule gegangen sind, wenn man sieht, wie es in ganz Europa zu autoritären Neigungen in der Bevölkerung kommt oder in Frankreich viele Akademiker auf einmal Interesse am Front National zeigen, dann fragt man sich, wie kann ein Schulsystem für ein Leben in einem demokratischen System vorbereiten?
Ich sehe eine gefährliche Entwicklung an zwei Stellen. Einerseits die dauerhafte Demokratieverdrossenheit einiger Menschen. Hoffnung macht mir hier jedoch, dass sich jüngere Leute wieder stärker für Politik interessieren und die Wahlbeteiligung steigt. Andererseits die Demokratieverachtung gewisser Teile der Eliten, bei denen Vorschläge Anklang finden, dass nur noch Bürger, die einen gewissen Informationsstand haben, überhaupt wählen dürfen. Auch die Ansicht mancher Unternehmer, die durchgreifende Maßnahmen fordern und die Mechanismen der Wirtschaft auf die Politik anwenden wollen, halte ich für riskant. Hier merke ich, dass verschiedene gesellschaftliche Kosmen gar nicht gesprächsfähig sind. Es ist eine wichtige Aufgabe der Wertekommission, in der Wirtschaft dafür zu werben, dass wir das gesellschaftliche Gespräch wieder erlernen. Wirtschaft muss sich als Teil der Gesellschaft verstehen. Da haben Manager und Unternehmer eine große Verantwortung im Hinblick auf das, was sie vorleben. Wir haben ja zum Glück eine ganze Reihe großartiger Unternehmer, die sich gesellschaftspolitisch einbringen. Es müssten nur noch mehr werden.
Korruption, Ränkeschmiede, Vetternwirtschaft: Ein Blick auf die globalisierte Welt stärkt nicht gerade das Vertrauen in funktionierende Wertesysteme. Wie können wir in unserer alles andere als perfekten Welt Werte erfolgreich leben?
Gerade weil unsere Welt nicht perfekt ist, müssen wir Werte leben und etwas dagegenhalten. Jeder von uns kann in sich hineinhorchen und überlegen, wie er mit anderen Menschen umgehen will. Wie soll unsere Gesellschaft aussehen? Wie kann ich dafür sorgen, dass das Netz, das unsere Gesellschaft zusammenhält, nicht weiter zerstört wird?
Doch auch Arbeitgeber können viel zur Stabilität des gesellschaftlichen Netzes beitragen. Wie oft berichten Stadtverordnete oder Menschen, die in der Bezirksversammlung sitzen, dass es gar nicht so leicht ist, von ihren Arbeitgebern freigestellt zu werden, auch wenn hierauf ein Rechtsanspruch besteht. Im wahren Leben gibt es dann doch oft Unverständnis und scheele Blicke. Ich halte es für sehr wichtig, dass ehrenamtliches Engagement auch entsprechend gewürdigt und unterstützt wird.
Es ist gut, dass die Wertekommission die Diskussion um wertebasiertes Handeln auch im Alltag der Wirtschaft voranbringt. Eine gute Führungskraft ist jemand, der Verantwortung dafür trägt, dass andere über sich hinauswachsen. Wer stur auf einer Büropräsenz von 9 bis 18 Uhr besteht, gibt seinen Mitarbeitern in der Regel wenig Raum für die eigene Entwicklung.
Die strengeren Regularien, denen die Unternehmer hierzulande im Hinblick auf Compliance unterliegen, haben übrigens nicht dazu geführt, dass Unternehmen reihenweise Insolvenz anmelden mussten. Im Gegenteil! Faires Geschäftsgebaren kann sogar zu einem Wettbewerbsvorteil werden. Dass nichtsdestoweniger immer wieder Skandale zum Vorschein kommen, ist erschütternd.
Welche Persönlichkeit des öffentlichen Lebens hat für Sie wirklich Vorbildfunktion, und warum?
Ich bin mir nicht sicher, ob wir wirklich nach den ganz großen Vorbildern suchen sollten. Wir wissen alle, das es niemanden gibt, der hundertprozentig perfekt ist. Selbst Mutter Teresa war das nicht. Ich denke, dass wir den Begriff des Vorbilds weiter fassen müssen. Es gibt Wesensmerkmale und Züge an Personen, die ich als vorbildhaft empfinde. Eine vollständige biographische Idolisierung ist aber falsch und unrealistisch. Sehr viele Menschen haben etwas Vorbildhaftes, auch wenn sie Schwächen haben. In diesem Sinne gibt es viel mehr Vorbilder als man landläufig meint.
Das Interview führte Christiane Harriehausen – Wirtschaftsjournalistin.