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CEOs müssen als Vorbild für Unternehmenswerte einstehen. Doch sie werden ihrer Verantwortung nicht gerecht – und verpassen Chancen.

Wer sich ernsthaft mit der Frage auseinandersetzt, was das Geheimnis langfristig erfolgreichen Wirtschaftens sein könnte, der kommt früher oder später darauf: Es sind die Werte, die ein Unternehmen prägen.

Wer dieser Sichtweise nicht folgen mag, der mache sich doch klar, welch verheerende Konsequenzen es haben kann, wenn etwa an die Stelle von Verantwortungsbewusstsein für Kunden, Mitarbeiter und Gesellschaft Gier und Selbstsucht treten – so wie es etwa im Bankensektor der Vorkrisenzeit vielfach der Fall gewesen sein mag.

Oder was geschehen kann, wenn allein der Zweck die Mittel heiligt und dann irgendwann jedes Mittel recht ist – eine Haltung, von deren zerstörerischer Kraft die Automobilindustrie gerade ein beredtes Zeugnis ablegt.

Ein derart zweifelhaftes Werteverständnis hat die betroffenen Unternehmen – und im Falle der Banken auch die Allgemeinheit – nicht nur unfassbar viel Geld gekostet. Es hat auch maßgeblich dazu beigetragen, dass das Vertrauen in die Wirtschaftseliten in bedenklichem Maße erodiert ist.

Auch Spitzenkräfte sind mitunter überfordert

Glaubwürdigkeit und Vertrauen aber – also die andere G+V, in der nicht allein die Erträge und Kosten, sondern alle geschaffenen und gelebten Werte über Soll und Haben entscheiden – sind das Fundament, auf dem ein Unternehmen steht.

Wie tragfähig dieses Fundament ist, hängt maßgeblich von den Männern und Frauen an der Spitze ab. Sie sind mit ihren Denk- und Handlungsweisen, kurz: ihrer Haltung, ein Vorbild für alle anderen im Unternehmen – in die eine oder die andere Richtung.

Mehr als zehn Jahre Auseinandersetzung mit werteorientierter Unternehmensführung und unzählige Diskussionen mit Führungskräften jeglicher Couleur haben den Autor dieser Zeilen zu der festen Überzeugung gebracht: Werte sind Chefsache!

Die meisten Unternehmenslenker dürften sich dessen voll bewusst sein. Dennoch werden CEOs allzu oft ihrer Vorbildfunktion nicht gerecht oder versagen Organisationen als Ganzes, wenn es darum geht, das Richtige zu tun.

Woran liegt das? Vermutlich sehr häufig daran, dass Wertekodizes im Unternehmensalltag als Sammlung hohler Phrasen empfunden werden, weil Handeln im Einklang mit den formulierten Werten nicht belohnt wird und Verstöße dagegen nicht sanktioniert werden.

Möglicherweise aber liegt es noch viel öfter an einer partiellen Überforderung der Spitzenkräfte.

Wer ein Unternehmen führt, einen Organismus mit einem komplexen Beziehungsgeflecht im Inneren und weitverzweigten Außenbeziehungen, der übernimmt die Rolle eines Vermittlers zwischen den Interessen verschiedenster Stakeholder und die Aufgabe, Interessengemeinschaft herzustellen.

Mitarbeiter und Führungskräfte gleichermaßen wollen auf für sie attraktive Ziele eingeschworen werden, Kunden, Investoren, Geschäftspartner und gesellschaftliche Akteure sollen zur Kooperation bewegt werden. Gefragt sind deshalb neben inhaltlicher Kompetenz und strategischem Weitblick eben auch Empathie und emotionale Intelligenz.

Als solcherart komplette Führungspersönlichkeit wird niemand geboren. Das ist die Herausforderung für die Führungskräfteentwicklung in den Konzernen: Lässt sich Empathie erlernen oder fördern und wenn ja: wie?

Bieten die Entlohnungssysteme mit ihrer oft starren Zielstruktur Raum neben den sogenannten harten Leistungsindikatoren?

Und nicht zuletzt: Unterliegt auch das eigene Unternehmen dem häufig zu beobachtenden Systemfehler, dass am Ende eben doch allein fachlich herausragende Leistungen über den Aufstieg entscheiden und dass über ethische Defizite und mangelnde Sozialkompetenz geflissentlich hinweggesehen wird?

Mir scheint, dass auf diese Weise schon so mancher an die Spitze gekommen ist, der dort nicht hingehört. Sind Deutschlands Manager aber so amoralisch, wie sie allenthalben dargestellt werden?

Es war noch nie so anspruchsvoll, Unternehmen zu führen

Im Durchschnitt sicher nicht. Fakt ist aber auch: Es war noch nie so anspruchsvoll wie heute, ein Unternehmen zu führen – mit wachsender Unsicherheit im Hinterkopf, mit immer diverseren und mächtigeren Stakeholdern und einem beständigen Rechtfertigungsdruck im Nacken und mit der unerbittlichen Transparenz der neuen Medienwelt vor Augen.
Das alles sind keine Modeerscheinungen, sondern wird so bleiben.

Menschen werden in Zukunft nur noch dann zur Mitwirkung an einer gemeinsamen Sache bereit sein, wenn sie von überzeugenden, glaubwürdigen, verlässlichen – und auch emotionalen Anführern dafür gewonnen werden.

Das heißt für alle CEOs: bei aller notwendigen Klarheit geschäftspolitischer Entscheidungen unter allen Umständen integer zu sein und klare Werte vorzuleben! Das ist zwar noch keine Garantie für langfristigen Erfolg, aber es erhöht die Chancen dafür ungemein.

Sven Korndörffer

Gastkommentar im Handelsblatt Online vom 11.06.2018

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